Koffer packen

Koffer packen – Interkulturelles Theater/Kunstprojekt 2013
Eine Kooperation der Holstenschule Neumünster, der Zentralen Bildungs- und Beratungsstelle für Migranten und Migrantinnen (ZBBS), der Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein (ZAST Neumünster), der Muthesius Kunsthochschule Kiel und zahlreicher Künstler/innen.

Eine Woche arbeiteten Schüler und Schülerinnen der Klasse 11 d der Holstenschule Neumünster und 16 junge Flüchtlinge aus dem Iran, Afghanistan und dem Jemen, die ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in Schleswig-Holstein leben mit einem fünfköpfigen künstlerischen Leitungsteam gemeinsam zum Thema Flucht, Vertreibung, Heimat und Heimatlosigkeit. Ausgangspunkt für die gemeinsame künstlerische Arbeit waren 30 Koffer, die von dem Berliner Künstler Uwe Hennig mitgebracht wurden. Mit diesen Koffern wurde in der Theater-, Kunst- und Filmgruppe gearbeitet und es entstanden beeindruckende und bewegende Ergebnisse: Ein 30-min. dokumentarischer Film, ein Theaterstück und eine Kunstausstellung, die am 19. Juni um 19 Uhr in der Aula der Holstenschule einer interessierten Öffentlichkeit präsentiert wurden.

Es begann mit einem Besuch der Schüler/innen in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge – einem Ort in unmittelbarer Nähe der Schule, den sie – hinter Zäunen und Stacheldraht verborgen – wohl sonst niemals betreten hätten. Die Jugendlichen aus Afghanistan, Irak, Iran und Tschetschenien berichteten von ihren Erlebnissen, von ihrer Flucht und ihren Gefühlen und Hoffnungen in einem noch fremden, neuen Zuhause. Das Kennenlernen der Lebensumstände in der Flüchtlingsunterkunft, die Gespräche und vor allem die gemeinsame künstlerische Arbeit haben die Schüler/innen und die jungen Asylsuchenden einander näher gebracht. Beiderseitige Vorurteile verflüchtigten sich.

In drei unterschiedlichen Arbeitsgruppen wurde das Erfahrene bearbeitet. So entstanden ein Theaterstück, ein Film und eine Ausstellung. Die 30 zusammengetragenen alten Koffer waren für alle Gruppen wichtige Requisiten, mit denen die interkulturelle künstlerische Reise gestartet und gestaltet wurde.

Kunstgruppe
Mit der Unterstützung des Künstlers Uwe Hennig beschäftigten sich die Jugendlichen mit dem Thema Heimat, Heimatlosigkeit, Flucht und Vertreibung. Sie erstellten lebensgroße Portraits und Selbstportraits, entwickelten und zeichneten gemeinsam Comicgeschichten. Jede/r von ihnen gestalteten einen eigenen Koffer.

Theatergruppe
Die Theatergruppe unter der Leitung der Theaterpädagoginnen Idun Hübner und Ulrike Krogmann entwickelte ein gemeinsames Theaterstück, das die Ungleichheit der Chancenverteilung von Schülern und Flüchtlingen thematisiert. Bei der Aufführung wuchsen Schülerinnen und Flüchtlinge über sich hinaus und bewegten die Zuschauer zutiefst.

Filmgruppe
Die Schüler/innen und die Flüchtlinge der Filmgruppe filmten in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in Neumünster sowie in Flüchtlingsunterkünften auf dem Land. Sie fragten die Flüchtlinge nach ihren Lebensverhältnissen und nach ihren Wünschen und Träumen. Aus kleinen Spielszenen, dokumentarischen Erzählungen und beobachtenden Ausschnitten der Arbeit der anderen Projektgruppen ist ein berührendes Dokument der Begegnung entstanden: ein 30-minütiger Film, der mit Unterstützung von Filmemacher Fredo Wulf und Lehrerin und Dokumentarfilmemacherin Quinka Stoehr nach dem eigenständigen Drehen auch selbst geschnitten wurde.

Jurybegründung für den Schulkulturpreis „Mixed Up des Bundesministerims für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
„Das Projekt „Kofferpacken – Tschamedan“ ist für die Jury beispielhaft und dient als Vorbild für eine künstlerische Auseinandersetzung, die sich auf vielfältige Weise eines gesellschaftspolitisch relevanten Themas annimmt und nachhaltig wirkt. Nachfolgeprojekte sind in Vorbereitung, die Projektidee kann anderenorts sehr gut adaptiert werden.“


Link zur entsprechenden Seite des ‚Mixed Up Preises 2014‘

Statements
„Wenn ich ehrlich bin, hatten wir alle große Vorurteile gegenüber den Flüchtlingen und dem Projekt. Viele dachten, dass die Flüchtlinge nur wegen dem Geld, der Versorgung und zum Nichtstun nach Deutschland kommen. Einige waren auch gegen das Projekt und sagten, sie wollten nichts mit „Verbrechern“ zu tun haben.“ (Schülerin N.)

„Wir haben in der Klasse herausgearbeitet, was wir für Erwartungen und Vorurteile gegenüber den Flüchtlingen haben. Hierzu gehörte auch das Vorurteil, dass Flüchtlinge ein hohes Aggressionspotential haben, welches sich aber überhaupt nicht bestätigte. Es herrschte die ganze Woche über eine äußerst positive Stimmung. Mir ist auch durch dieses Projekt deutlich geworden, dass man mit einer starken Gemeinschaft mehr erreichen kann als ein Einzelner. (Schüler S.)

„Das Projekt hat mir einen völlig neuen Einblick in das Leben der Flüchtlinge gebracht. Besonders der Besuch der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge hat mir gezeigt, wie schwer es die Flüchtlinge in ihrem Land haben müssen, da ich der Überzeugung bin, dass niemand von uns freiwillig sein Heimatland verlassen würde, um in solchen Verhältnissen wie in der Erstaufnahmeeinrichtung leben zu können.“ (Schüler J.)

„Außerdem muss ich zugeben, dass ich mich vorher nicht wirklich mit diesen Themen (Flucht, Vertreibung, Asyl) auseinandergesetzt habe, aber dadurch, dass ich nun einen solchen Einblick in die Situation von Menschen , die in ihrem eigenen Land in ständiger Angst (z. B. vor den Taliban) leben mussten, bekommen habe, denke ich, dass ich mein Ziel erreicht habe und jetzt wirklich anders über die Situation von Asylanten denke und jedem sagen kann, dass man Personen erstmal kennenlernen sollte, bevor man über sie urteilt (Schülerin A.- L.)

„Auch wenn es solche Projekte wie dieses gibt (…), wird es immer Vorurteile den Asylbewerbern gegenüber geben. Dies zeigt insbesondere die Tatsache, dass eine der Kindergärtnerinnen sofort die Polizei rief, als sie die Flüchtlinge bei uns an der Schule sah. Um Missverständnisse und vorschnelles Handeln zu vermeiden, hätte die Frau erst einmal mit den Asylbewerbern sprechen sollen, anstatt sie direkt zu verurteilen und die Polizei zu rufen. Genau das habe ich aus der Projektarbeit für mich mitgenommen, man muss mit den Menschen kommunizieren, um mehr über sie zu erfahren und ihre Hintergründe kennen zu lernen. “ (Schülerin F.)

Aber ich muss schon sagen, dass ich mit einem sehr guten Gefühl aus der Woche herausgehe. Jetzt freue ich mich noch auf den Tag im Schnittstudio. Da werde ich hoffentlich noch sehr viel lernen. Alles in allem lässt sich auch sagen, dass mir die Woche auch vom Wissen sehr viel gebracht hat. Ich spiele sogar mit dem Gedanken, später Kameramann zu werden. (Schüler M.)

In dieser Woche habe ich gelernt, wie gut wir es hier haben . Wir haben etwas zu essen, zu trinken und ein Dach über dem Kopf und vor allem haben wir eine Perspektive für die Zukunft. (Schüler E.)

„Dieses Projekt hat mir in erster Linie bewusst gemacht, das zu schätzen, was man hat und was man in Deutschland erreichen kann und was es heißt, ohne Angst aufzuwachsen.“ (Schüler S.)

„Ich hätte vorher nicht gedacht, dass man schon nach einer Woche die Menschen, die man vorher noch nie getroffen hat, vermissen würde, aber dies ist so. Jeder der Flüchtlinge begegnete einem nett und freundlich und machte es einem leicht, sich anzufreunden. Viele Schüler und Flüchtlinge werden auch weiterhin in Kontakt bleiben. Wegen ihrer Flucht verdienen die Flüchtlinge meinen größten Respekt und ich habe gelernt, dass jeder Mensch die Chance verdient hat, sein Leben zu leben, ohne dabei gefährdet zu sein.“ (Schülerin M.)

„Ich kann sagen, dass ich sehr froh darüber bin, in so einem Projekt mitgewirkt zu haben. Wir als Klasse sind noch mehr zusammengewachsen und haben tolle und herzliche Menschen aus verschiedenen Ländern kennengelernt.“ (Schülerin D.)